Der Kampf der Lilli Schwarzkopf um ihre verdient gewonnene Silbermedaille im olympischen Siebenkampf

Aus Von Ramona Schittenhelm

Kommentar von Ramona Schittenhelm

Kommentar von Ramona Schittenhelm

Das muss ein verrücktes Gefühl sein: Du läufst nach zwei Tagen hartem Wettkampf und 800 gesprinteten Metern über die Ziellinie und bist dir eigentlich sicher: ich habe eine Medaille gewonnen. Aber: hat es zu Silber gereicht? Aber statt einem Ergebnis steht bange Minuten lang überhaupt nichts auf der Ergebniswand. Einzig die Siegerin des Wettbewerbs – die Britin Jessica Ennis – kann sich von den 80.000 Fans im Stadion feiern lassen. Steht als Olympiasiegerin des Siebenkampfes von London fest. Oder?

100 Meter Hürden, Kugelstoßen, Weit- und Hochsprung, 200 Meter laufen, Sperrwerfen … diese Disziplinen liegen zum besagten Zeitpunkt bereits hinter den Sportlerinnen. Die Britin klar in Führung. Eine Hand voll weiterer Athletinnen zueinander in Reichweite – alle haben noch eine Chance auf Silber und Bronze. Vorausgesetzt, ja vorausgesetzt, sie nehmen im abschließenden 800-Meter Rennen das Herz in die Hand und gehen den Lauf couragiert an. Lilli Schwarzkopf tat dies – war im Ziel und eigentlich eine sichere Medaillengewinnerin.

Die Sportlerinnen waren bereits auf der Ehrenrunde, als nach einigen Minuten des Nichts plötzlich auf der Video-Wall erscheint, dass Lilli Schwarzkopf disqualifiziert worden sei. Ungläubig blickt sie ins Rund, weiß gar nicht, was sie davon halten soll. Fragt bei Funktionären. Nicht einem sondern mehreren. Sie alle bekräftigen und erklären ihr, sie hätte während des Laufes die ihr zugewiesene Bahn zu einem Zeitpunkt verlassen, als dies noch nicht erlaubt war. Bange Minuten – auch für die Kommentatoren der Fernsehanstalten, die zwischenzeitlich bereits mehrfach die MAZ des Laufes zurate gezogen hatten. Wo bitte läge ein Regelverstoß vor, hörte man die Kollegen immer und immer wieder sagen: Lilli Schwarzkopf startete von der ihr zugewiesenen Bahn fünf, bis zur Markierung lief sie exakt auf dieser Bahn, kam der Seitenbegrenzung noch nicht einmal wirklich nahe, scherte erst ein, als es erlaubt war. Rempler gab es – allerdings gegen und nicht von Schwarzkopf … Die Irritation und Verwirrung im ganzen Medienvolk war groß. Die Fans feierten unterdessen ihre Jessica Ennis, die mit knapp 7000 Punkten das erhoffte und ersehnte Olympiagold gewinnen konnte.

Der deutsche Leichtathletik-Verband legte Protest ein gegen die Disqualifizierung von Lilli Schwarzkopf. Nach einigen Minuten des Wartens stellte sich heraus: ein Irrtum. Man hatte Schwarzkopf mit der Russin Kristina Sawizkaja verwechselt, die die Bahn verlassen hatte. Die Disqualifikation der Deutschen wurde aufgehoben, der olympische Juryirrtum wird dagegen in die Geschichte eingehen. Und die 28 Jahre alte Siebenkämpferin kann sich endlich über ihre Medaille freuen. SILBER … wird für sie sicherlich Gold wert sein.

Lilli Schwarzkopf: „Ich dachte nur, mein Tag kann nicht so enden. Das war mein Wettkampf. Nein, bitte nicht. Die können mich doch nicht einfach so stehen lassen“. Ich war nervlich viel zu platt, das nachvollziehen zu können.“

Spannend war für die Sportlerin aber auch das Wie der Aufklärung und Bekanntgabe: denn man merkte, wie es in Lilli Schwarzkopf immer mehr brannte. Sie kämpfte merklich um ihre Medaille, war sich sicher, nichts falsch gemacht zu haben, wollte sich daher auch mit der Disqualifikation nicht abfinden. Ihr Glück. Hinterher sagte sie: „Ich habe beim ersten Schiri nachgefragt, dann beim nächsten, dann beim dritten und dann vierten. Man sagte mir, ich hätte die Linie betreten. Ich sagte dann: ‚Das müssen Sie mir erst zeigen.‘ Hin und her, her und hin. Dann hat sie mir die siebte, achte Bahn gezeigt. Und ich zu ihr: ‚Da bin ich gar nicht gelaufen. Ich muss die Videoaufnahme sehen.'“ Und dann kam es. Gemeinsam mit den Offiziellen ging es in den Videoraum, ihr wurde der Videobeweis gezeigt – der Fuß auf der Linie. „Aber es ist nicht meiner. Und es ist nicht meine Bahn“, entfuhr es Schwarzkopf. Das sahen auch die Offiziellen ein.

Schwarzkopf hatte Glück: immerhin wurde sie in die Wertung wieder aufgenommen, das Ergebnis im Stadion eingeblendet. So erfuhren die Zuschauer dann doch, dass sie gerechtfertigterweise Silber beim olympischen Siebenkampf gewonnen hatte. Auch wenn sie die Ehrenrunde nicht als Medaillengewinnerin genießen konnte. Denn während der erfuhr sie, angeblich disqualifiziert worden zu sein. Denn während der musste sie um ihre Medaille kämpfen. Die Sportlerin von der LG Rhein Wied jedenfalls hatte bei Olympia ihre Leistung voll abrufen können, erreichte über 6500 Punkte und hat quasi den Wettkampf ihres Lebens zum richtigen Saisonaugenblick abgerufen. Nach Bronze bei der EM 2006 in Göteborg war es sicherlich der wichtigste Moment in ihrer Karriere als Siebenkämpferin.