Mit Zivilcourage gegen Gewaltbereitschaft

Aus Von Ramona Schittenhelm

Berchtesgadener Land – „Opfer werden oft schlechter hingestellt als Täter“, ärgert sich Elisabeth Knapp, seit mehreren Jahren für den Weißen Ring im Landkreis Berchtesgadener Land tätig. Die 58-Jährige aus Laufen ist zuständig für die Außenstelle des Weißen Ringes im Landkreis. Und der hilft bei Raub, Einbruch, Kriminalität oder den Opfern von Sexualstraftaten. Die Täter, gerade bei Sexualdelikten, kommen in der Mehrzahl aus dem näheren Umfeld – Eltern, Verwandte oder gute Freunde, bestätigt Knapp, die versucht, für die Opfer telefonisch oder persönlich als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.

„Manche Großen schmeicheln, auch Kindern: um sie dann zu streicheln. Aber wenn Du das nicht magst, ist es gut, wenn Du es sagst.“ – Mit flotten Sprüchen in Reimform versucht die Aktion Powerkids des Weißen Ringes, betroffenen Kindern und Jugendlichen Mut zu machen, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren und sich jemandem anzuvertrauen, der ihnen hilft. Dabei müsse man allerdings zuerst das Vertrauen der Opfer langsam gewinnen, beschreibt Elisabeth Knapp, die gerade bei älteren Personen eine noch höhere Hemmschwelle sieht, sich jemandem anzuvertrauen.

Hohe Dunkelziffer, da Tabuthema

Sie selbst betreibt diese ehrenamtliche, zeitaufwändige Tätigkeit inzwischen seit etwa vier Jahren. Knapp 2000 Kilometer pro Jahr verfährt sie dabei im Landkreis, dazu jede Menge Telefonate mit den Opfern (aktuell und Nachsorge). Die 58 Jahre alte Elisabeth Knapp hat in den vier Jahren ihrer Tätigkeit inzwischen 43 Fälle selbst betreut, dazu die Angelegenheiten, die sie aus Zeitgründen an ihre Kollegen (beispielsweise in Traunstein) abtreten musste. Und auch die Dunkelziffer liege hier im Landkreis sehr hoch, beschreibt die Laufenerin. Grund dafür sei die Tabugrenze, die hier sehr hoch sei.
Diese Fälle, gerade im sexuellen Bereich, gab es auch früher schon. Nur hieß es damals vielleicht etwas anders, beschreibt Elisabeth Knapp. Sie spricht vom so genannten Recht beispielsweise der Leibherrn auf die erste Nacht (beispielsweise mit ledigen Frauen). Nur im Vergleich zu früher würde heute darin sexueller Missbrauch gesehen. Allerdings werde immer noch zu wenig darüber gesprochen. Betroffene holen sich vielleicht noch Rat bei der besten Freundin, professionelle Unterstützung sei aber nicht unbedingt gefragt. Und die vermittelt der Weiße Ring Berchtesgadener Land durch den Sozialpsychologischen Dienst. Die freiwilligen Mitarbeiter versuchen ebenfalls zu helfen, indem sie zuhören und die Opfer beispielsweise bei der Einforderung ihrer Rechte unterstützen.

Nähe und gleichzeitig Distanz zu den Fällen

Den Mitarbeitern des Weißen Ringes würden die verschiedensten Probleme angetragen. Da müsse man auch lernen, einerseits nah dran zu sein und andererseits sich auszugrenzen, da man sonst „hinuntergezogen würde“, beschreibt Elisabeth Knapp. Ehe man als Mitarbeiter eigenverantwortlich Fälle betreut, müsse man auch erst eine ganze Reihe von Schulungen, Einstufungen und „Hürden“ überqueren. Bevor man am Einführungsseminar des Weißen Ringes teilnehmen darf, muss man mindestens zwei Fälle mitbegleitet haben, ein halbes Jahr später und um einige Erfahrungen reifer, folgt die erste einführende Mitarbeiterschulung, die anfangs alle Jahre erfolgt. Nach der Einführung ist eine Fortbildung im Zweijahresrhythmus Pflicht.

Die Hauptaufgabe sei es, so Elisabeth Knapp, den Opfern zuzuhören und telefonisch für sie erreichbar zu sein. Problem sei allerdings, dass viele anfangs nicht unbedingt um Hilfe anfragen und ihren Kummer (beispielsweise aus Angst) in sich hineinfressen. Die Zusammenarbeit mit den Polizeidienststellen im Landkreis, der Kripo in Traunstein oder auch der Staatsanwaltschaft klappe aber eigentlich ganz gut. So komme es schon vor, dass nachts um ein Uhr bei ihr das Telefon klingle und ein Opfer anruft, welches nicht schlafen könne. Man müsse dann – oft über den Zeitraum von mehreren Stunden – meist nur zuhören, bis die Person einschlafen könne.

Hauptklientel seien (jüngere) Opfer – meist weiblich, die finanziell nicht so gut gestellt seien. Vereinsmitglieder aus dem Landkreis dagegen seien in der Hauptzahl ältere Menschen über 60 Jahre. Diese machen einen Anteil von etwa 70 Prozent aus.